A review by bookishyvonne
Kim Jiyoung, Born 1982 by Cho Nam-joo

challenging dark emotional reflective sad tense medium-paced
  • Plot- or character-driven? Character
  • Strong character development? It's complicated
  • Loveable characters? No
  • Diverse cast of characters? No
  • Flaws of characters a main focus? No

4.0

Endlich habe ich diesen internationalen Bestseller auch gelesen! Und es ist das, was ich erwartet hatte und zugleich auch nicht. Cho Nam-Joo hat mit “Kim Jiyoung, Born 1982” ein wichtiges Buch für die koreanische Gesellschaft geschrieben und durch die Übersetzungen auch für uns.
[CN: Deepression (postpartum), Misogynie, Sexismus, sexuelle Belästigung, Tod, Victim Blaming, Überdosis]

Direkt etwas, das ich nicht erwartet hatte: der geradezu sterile Schreibstil. Bereits auf den ersten Seiten fällt auf, wie distanziert erzählt wird. Anfangs dachte ich, dass es an dem Plot liegen könnte, aber als ich mit einigen über dieses Buch gesprochen habe, wurde erwähnt, dass Literatur aus Ostasien dazu tendiert so zu schreiben, dass wir es aus der deutschen Sicht als “distanziert” und “gefühllos” wahrnehmen. 

Die Geschichte beginnt im Herbst 2015, als unsere 33-jährige Protagonistin Jiyoung anfängt sich seltsam zu verhalten. Bis dahin hat sie alles getan, was von ihr als Frau erwartet wurde: Nicht auf sexuelle Belästigung reagieren, keine Widerrede geben, ihre Karriere aufgeben, um sich um ihr Kind zu kümmern. Plötzlich fängt sie an in Rollen ihr bekannter Frauen zu schlüpfen. Ihr Mann schickt sie zu einem Psychiater, der uns Leser*innen Jiyoungs Leben nacherzählt.

Beim Lesen musste ich mehrere Male innehalten, weil die vielen Mikroaggressionen im Alltag von Jiyoung so viel Wut in mir hervorgerufen hat. Es waren lauter “Kleinigkeiten”, fast schon unscheinbare Kommentare, aber auch die unverschämt offensichtliche Objektifizierung. Misogynie ist überall und fängt bereits im Kindesalter an mit Sprüchen, wie “Boys will be boys”, dann als Jugendliche mit “Warum ist dein Rock so kurz?” und dann als Erwachsene, wenn sie sich dazu entscheidet oder eher dazu gedrängt wird ein Kind, am besten einen Sohn, auf die Welt zu bringen. 

Ich war so erleichtert zu sehen, dass Jiyoung endlich mal explodierte und zumindest ihren Ehemann zurechtwies, der ihr immer “aushelfen” wollte. Mit der Hausarbeit. Mit dem Kind. Ja, Daehyun war immer unterstützend, aber Sätze, wie “Er wird ihr mit dem Kind ‘helfen’” sind ziemlich seltsam, denn es ist doch auch sein Kind. Wieso dann “helfen”? 

Das ganze Buch zeigt ziemlich gut auf, dass es große strukturelle Veränderung benötigt sind, um die Situationen für Frauen besser zu machen. Hierarchien in den Familien müssen überwunden werden, besserer Mutterschutz, Vater muss sich mehr wie ein Elternteil verhalten und so viel mehr. Das Buch erzählt lediglich die fiktive Geschichte von Kim Jiyoung. Dementsprechend liegt der Fokus auf heteronormativen Beziehungen. 

Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass ich vieles nicht nachvollziehen könnte, weil ich deutsch sozialisiert bin und hier ein Leben einer koreanischen Frau erzählt wird. Ich dachte, dass einiges sicherlich koreanisch-spezifisch sei. Aber nope. Überhaupt nicht. Früher dachte ich, dass versteckte Kameras auf Toiletten tatsächlich nur auf Korea zutreffen würde. Denn ich habe die Schilder, selbst in den Uni-Toiletten, gesehen, als ich dort war. Dann habe ich eine Doku über versteckte Kameras in Dixi Klos auf Festivals in Deutschland gesehen. Misogynie ist überall und wir brauchen dringend mehr Veränderungen.

Falls ihr das Buch schon gelesen habt: Erinnert ihr euch an den letzten Satz? So. Viel. Wut. In. Mir.