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A review by bookhouseboi
Leviathan by Paul Auster
challenging
emotional
tense
medium-paced
- Plot- or character-driven? Character
- Strong character development? It's complicated
- Loveable characters? It's complicated
- Diverse cast of characters? Yes
- Flaws of characters a main focus? Yes
4.5
Paul Austers „Leviathan“ (1992) ist in vielerlei Hinsicht eine faszinierende Geschichte. Beziehungsweise eine Vielzahl an faszinierenden Geschichten und Schicksalen, die durch den Protagonisten Ben Sachs allesamt miteinander verbunden werden. Dieser reiht sich, ebenso wie der Ich-Erzähler Peter Aaron, in die Austersche Reihe mehr oder minder gescheiterter Literaten ein, die vor selbstreferentiellen Anspielungen zu platzen drohen, die Ironie dieser Metapher steht hier bewusst im Raum.
Mich fasziniert die Hingabe und Leidenschaft mit der Auster seine Charaktere zeichnet, alle wirken exzentrisch, detailliert und teilweise brillant ausgearbeitet, insbesondere die Fotografin Maria Turner hat sich mit ihren kleinen und größeren Eigenheiten in mein Herz fotografiert, wie es kaum einer Austerschen Frauenfigur bisher gelang. Dazu kommt, wie fast immer, das metafiktionale Element. Fiktionale Plots im Plot zu erklären ist sicherlich kein Novum, dennoch bleibt die Zusammenfassung von Sachs‘ fiktivem Debütroman „Der Neue Koloss“ über gut zweieinhalb Seiten ihrerseits eine solch kolossale Passage, dass man sich einerseits wünscht, Auster hätte stattdessen diesen Roman statt „Leviathan“ (dessen Titel ein weiterer ausgezeichneter metafiktionaler Kniff ist) ausgearbeitet, andererseits aber auch weiß, dass diese Zusammenfassung viel mehr liefert, als ein vollwertiger Roman hätte ausdrücken können.
„Der Neue Koloss“ und damit „Leviathan“ setzen sich mit der US-amerikanischen Landesgeschichte auseinander, mit dem Aufstieg und dem unausweichlichen Fall, dem Nation und Individuum ausgesetzt sind. „Man kann nur noch abstürzen und zerschmettert werden.“ Liest man diese Passage vor der Prämisse des Romans, dem Freiheitsstatuen und sich selbst in die Luft jagenden Ben Sachs, dessen Lebensgeschichte retrospektiv durch Peter erzählt wird, stellt sich die unmittelbare Frage nach dem Erscheinungsjahr des Romans. 1992 und damit ganze neun Jahre vor dem größten nationalen Trauma der USA schafft Auster eine Art Prä-9/11 Roman, der vor dem geschichtlichen Hintergrund zu einem dunklen Vorboten wird.
Dennoch gibt es einige kleine Punkte zu kritisieren: Die Protagonisten Sachs und Aaron sind meiner Meinung nach weniger ausgearbeitet als ihre weiblichen Gegenparts und während Sachs durch das ihn umgebende Mysterium wenigstens einen Teil der Spannung halten kann, wird Peter Aaron, auch durch seine letztendlich relativ belanglose Position in der Figurenkonstellation, schnell langweilig und deutlich uninteressanter als andere von Austers Ich-Erzählern. Auch ist „Leviathan“ nicht Austers zugänglichster Roman und für einen Einstieg in das umfangreiche Werk nicht besonders gut geeignet. Wer sich durch die lose eingestreuten Kriminalelemente eine solche Geschichte erhofft hat, ist mit „City of Glass“ und dem Rest der New York Trilogie als postmoderne Detektivgeschichte deutlich besser zufriedengestellt, „Moon Palace“ verfolgt die (Liebes-) Irrungen Wirrungen durch New York aus Sicht eines sympathischeren, jungen Protagonisten und „Invisible“ meistert den metafiktionalen Diskurs par excellence. Trotzdem gilt abschließend: Wer sich ein wenig mit Paul Auster auseinandergesetzt hat, weiß, was man beim Lesen von „Leviathan“ bekommt. Und es lohnt sich!